by Benedict Wells
Wie jeden Morgen stand Robert Beck nackt vor seinem Badezimmerspiegel. Meine Güte bist du fett geworden, dachte er. Für ihn gab es nur eine Erklärung: Gott:
Gott wollte einfach nicht, dass er abnahm. Eine andere Begründung war: Er hasste Bewegung, er aß ungesund, und sein Körper war nicht mehr der jüngste. Man altert einfach zu schnell, dachte Beck. Einmal kurz weggeschaut, schon war man nicht länger ein junger Leadsänger in einer Band, sondern ein siebenunddreißigjähriger Lehrer an einem Münchner Gymnasium. Nicht gerade der erhoffte Lebenslauf.
„Die Idee zur der Geschichte kam, weil ich sehr gut mit einem Lehrer befreundet bin, der damals so 35, 36 war, und er hat mir viel erzählt über das Dilemma eines Lehrers. Du hast alles, bist Beamter, kriegst Geld, Sicherheit ein Leben lang, der war todunglücklich, weil er gefangen war, weil er das Gefühl hatte, sich nicht verwirklicht zu haben. Und ich hab mir gedacht, was passiert wenn ich diesen Typen packe und in das verrückteste Abenteuer stecke, das nur möglich ist.“
Er war blass und dünn, seine pechschwarzen Haare hingen ihm ins jungenhafte Gesicht. Zudem war er wahnsinnig schlecht angezogen. Unter seinem Bundeswehrparka trug er ein Metallica-Shirt und eine schwarze Karottenhose. Obwohl er bereits siebzehn Jahre alte war, wirkte er eher wie ein rebellischer Vierzehnjähriger. Wahrscheinlich hatten sie ihn deshalb auch mit Papierkugeln beworfen.
Dieser Junge heißt Rauli Kantas, er kommt aus Litauen und er verhält sich eigenartig verstockt. Aber als er beim Gespräch mit Lehrer Beck dessen Fender Stratocaster entdeckt, lebt er auf und entpuppt er sich als kleiner Gitarrengott.
Durchs Zimmer donnerte ein mächtiges Gitarrenriff, vorgetragen in rasanter Geschwindigkeit. Raulis lange Finger huschten über die sechs Saiten und entlockten der Gitarre winselnde, schneidende Klänge, die Beck nicht mal im Traum hinbekam.
Lehrer Beck wollte selbst einmal Rockstar werden und entwickelt jetzt einen Plan. Als Entdecker und Manager von Rauli, vielleicht sogar als sein Songwriter, könnte er jetzt doch noch Karriere im Musikgeschäft machen. Allerdings ahnt er da noch nichts von der zwielichten Art dieses Rauli und dessen undurchsichtiger Familie. Außerdem verliebt sich der beziehungsunfähige Beck in die elfenhafte Kellnerin Lara und muss sich auch noch um seinen einzigen Freund kümmern. Das ist der hünenhafte Deutschafrikaner Charly, ein arbeitsloser, drogenabhängiger Hypochonder mit großer Veranlagung zur Schwatzhaftigkeit. In diesem ersten Teil des Romans zeigt Benedict Wells dass er ein talentierter Erzähler ist. Die Geschichte kommt gut voran mit gelungener Situationskomik und treffend genauen Beschreibungen der unterschiedlichen Milieus. Vor allem aber sind es seine starken Figuren, die mit authentischen Dialogen auch in skurillsten Situationen noch glaubhaft wirken.
Facts:
English title: N/A
Original title: Becks letzter Sommer
Published: 2008