by Robert Menasse
Hier eine Kritik von Dieter Wunderlich :
In seinem satirischen und tragikomischen Roman „Die Hauptstadt“ vermittelt uns Robert Menasse ein kenntnisreiches und zugleich überspitztes Bild von der Brüsseler EU-Bürokratie. Zwischen dem europäischen Gedanken und der Wirklichkeit klafft ein Graben, zumal die Beamten in „Die Hauptstadt“ keine Idealisten sind, sondern Einzelkämpfer und Karrieristen. Da ist es kein Wunder, dass die Generaldirektion Bildung und Kultur der Europäischen Kommission für bedeutungslos bzw. ein Karriere-Abstellgleis gehalten wird.
Fenia Xenopoulou, eine Direktorin der Generaldirektion Bildung und Kultur, quält sich durch Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“, weil es sich angeblich um das Lieblingsbuch des Kommissionspräsidenten handelt. Ihr „Big Jubilee Project“ spiegelt wohl nicht zufällig die „Parallelaktion“, mit der in Robert Musils Roman einflussreiche Kreise der Donaumonarchie das 70. Thronjubiläum von Kaiser Franz Joseph im Jahr 1918 vorbereiten. Dabei handelt es sich um das Gegenteil der europäischen Integration, denn die nationale Veranstaltung in Wien soll die Feier des 30. Thronjubiläum des deutschen Kaisers Wilhelms II. in Berlin übertrumpfen.
Robert Menasse hat den Roman „Die Hauptstadt“ überfrachtet, auch wenn es ihm gelungen ist, die zahlreichen Themen, Akteure und Handlungsstränge wie in einem Ensemble-Film zu verknüpfen. Im Prolog läuft ein Hausschwein durch Brüssel. Es begegnet der Reihe nach David de Vriend, Kai-Uwe Frigge, Fenia Xenopoulou, Mateusz Oswiecki, Martin Susman, Gouda Mustafa und Prof. Alois Erhart. Auf diese Weise verbindet Robert Menasse einige der Romanfiguren – ähnlich wie Robert Altman beispielsweise in der Eröffnungsszene des Films „The Player“. (Das Schwein ist dabei eine vieldeutige Metapher. Man denkt dabei an Saustall und Schweinerei, an Glücksschwein und Schweinchen Schlau, aber auch an Schimpfwörter wie Ferkel und Drecksau.)
NB: Ein Mann mit dem Familiennamen Boulanger heißt auf den Seiten 223 und 227 Romain, aber auf Seite 226 trägt er den Vornamen Émile. Und bei dem „jungen Gymnasiasten“ auf Seite 22 handelt es sich um eine Tautologie. „Die Hauptstadt“ wurde mit dem Deutschen Buchpreis 2017 ausgezeichnet.
Quelle: https://www.dieterwunderlich.de/Menasse-hauptstadt.htm (c) Dieter Wunderlich
Facts:
English title: N/A
Original title: Die Hauptstadt
Published: 2017